Energie Lounge 2019 - Gutes Klima im Quartier
Standards und Limits oder alles schön freiwillig? Die Macht der Einzelnen oder Regeln für alle? Derzeit appellieren Politik und Fachleute im Klimaschutz noch immer überwiegend an das „gute Gewissen“. Das muss sich ändern, forderte Buchautor und Energiepolitik-Experte Michael Kopatz vom Wuppertal Institut am ersten Abend der Energie Lounge 2019.
Wie geht „Gutes Klima im Quartier“? Und zwar meteorologisch wie sozial? Mit mehr Natur, mehr Begegnung, mehr Gefühl und mehr Beteiligung. Das war zumindest aus der Diskussion im Rahmen der 2. Energie Lounge 2019 herauszuhören. Womit unser Steinzeithirn nicht klar kommt, lesen Sie in der folgenden Zusammenfassung eines anregenden Abends mit Architektin Marina Hämmerle, Wetterforscher Simon Tschannett, Stadtbaumeister Gabor Mödlagl und dem Leiter der Bregenzer Stadteilbüros Günther Willi.
2017 hat in Österreich ein von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerktes Ereignis stattgefunden: Erstmals in der jüngeren Geschichte sind in Österreich mehr Menschen am Wetter gestorben, als am Verkehr. 2018 übrigens gleich noch einmal, aber auch da wurde diese Zäsur nur von wenigen wahrgenommen. Grund für die vielen der Hitze Erlegenen ist laut dem Meteorologen Simon Tschannett die Tatsache, dass unsere Städte nicht für die steigenden Temperaturen gemacht sind – das gilt insbesondere für die Bundeshauptstadt.
"2017 und 2018 hat es mehr Hitzetote als Verkehrstote in Österreich gegeben."
Meteorologe Simon Tschannett über die unmittelbaren Folgen der Erderwärmung.
Die – aber auch Vorarlbergs Städte wie Bregenz und Feldkirch – wird im Sommer zu einer „Urban Heat Island“, in der sich die mit viel Gründerzeitbeton und Asphalt versiegelte Stadt tagsüber aufheizt und in den häufiger werdenden Tropennächten (also Nächten, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt) nicht mehr abkühlt. Bald wird sich Bregenz nicht mehr nur wegen des Festspielhauses mit Melbourne vergleichen können. Neun Tage waren 2019 bislang die jeweils wärmsten der Messgeschichte.
Unabhängig von der – hoffentlich stark, aber möglicherweise nicht sehr ausgeprägt – dämpfenden Wirkung von Klimaschutzmaßnahmen auf die letztendliche Temperaturentwicklung ist schon jetzt klar, dass parallel zum Klimaschutz mit der Anpassung an die Erderwärmung begonnen werden muss.
Laut Simon Tschannett spannen die Maßnahmen einen Bogen von geänderten gesellschaftlichen Vorzeichen bis zu konkreten Maßnahmen. Während erstere vor allem darauf abzielen, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen einem veränderten Klima Rechnung getragen werden kann (von neuen Sichtweisen auf Arbeitszeiten und Leistungsfähigkeit bis zu geänderten Prioritäten und neuen Paradigmen in Bezug auf Wohnen, Mobilität, Freizeit), begünstigen die anderen das Leben in wärmeren Städten und Gemeinden durch mehr Grün, mehr Schatten, mehr Wasser bis hin zu besseren Möglichkeiten, sich auch bei hohen Temperaturen außerhalb eines klimatisierten PKWs bequem fortbewegen zu können.
An dieser Stelle setzt auch Marina Hämmerle an, die sich intensiv mit der Schaffung von mehr Biodiversität im Siedlungsraum befasst. Gutes Klima im Quartier brauche mehr Natur im Quartier, hält die Architektin fest. Und zwar nicht nur der Natur wegen. Die Spaltung unseres Lebensraumes in Natur und gebauten Raum bereit uns Stress, mit der Entkoppelung von Lebens- und Naturraum käme unser Steinzeithirn nicht klar. Natur sei überlebenswichtig, kein „nice to have“.
"Mit der Entkoppelung von Natur- und Lebensraum kommt unser Steinzeithirn nicht klar."
Marina Hämmerle über das kollektive Unbehagen zur Raumentwicklung in Vorarlberg.
Dabei gebe es (noch) zahlreiche Beispiele, in denen Naturvielfalt ganz organisch im gebauten Raum Platz finde: In alten Gärten beispielsweise, die wichtige Biotope im Bestand darstellten, oft aber unerkannt und damit unterschätzt blieben. Und anstatt aus Grünflächen noch mehr Gärten zu machen, würden in der Praxis die Natur abstrahiert. Statt Verbindung zu schaffen, würde Lebensraum in „Drinnen“ und „Draußen“ getrennt, würde von Verdichtung gesprochen, statt von Entwicklung.
Überhaupt kann Marina Hämmerle mit dem Begriff „Verdichtung“ spürbar wenig anfangen. Schließlich sei Verdichtung schlicht ein physikalischer Vorgang mit dem Ziel, mehr Masse im Volumen unterzubringen. Und wer wolle denn „verdichtet“ werden?
"Gutes Klima im Quartier bedeutet: mehr Natur im Quartier."
Marina Hämmerle nach dem K.I.S.S.-Prinzip.
Wir dächten, erhebt Hämmerle den Vorwurf, wir hätten ohnehin genug Natur im Land. Und das Bauen und Siedeln ist noch immer von dieser Haltung geprägt – auch aktuelle Diskussionen zeigen das. Dabei müsse das Bauen unter den Aspekt des Gemeinwohls fallen, wozu aber das Narrativ fehle: Es gäbe kein gemeinsames Bild davon, was wir denn für einen Siedlungsraum wollten. Diese Frage müsse öffentlich geklärt werden und schließlich in eine naturinklusive Planung führen.
Starke Nachhaltigkeitsaspekte in der Feldkircher Stadtplanung will deren Stadtbaumeister Gabor Mödlagl ausmachen und illustriert seine Aussage mit zwei Beispielen: Das derzeit mitten in der Neuentwicklung befindlichen Bahnhofsareal soll grüner werden. Der naheliegende Schluss, Bäume zu pflanzen, ginge vor allem am Bahnhofsvorplatz über einer zentralen Tiefgarage nicht oder nur eingeschränkt.
"Feldkirch plant die Stadtentwicklung seit zwanzig Jahren nach Prinzipien der Nachhaltigkeit. Und der politische Konsens ist hoch."
Gabor Mödlagl freut sich über eine gute Arbeitsgrundlage.
Um keine klassischen begrünten Dächer (zu wenig Biomasse) über den Vorplatz zu spannen, werde laut Mödlagl nun ein Hybrid aus Baum und Dach in Form von 16 gebauten "Pilzen" verwirklicht, die eine bis zu drei Meter starke Schicht Erdreich über einer regendichten Betondecke tragen und damit bis zu 80 Kubikmeter Wasser speichern könnten. Die Kälteleistung würde 45 Kilowatt betragen, womit man übrigens ein mittelprächtiges Bürogebäude kühlen könnte. Ansonsten würden aber auch einfachere Gründächer ihre Dienste tun, und die Stadt plane in Zukunft, statt PV- oder Solaranlagen eben vermehrt Wiesen auf den Dächern ihrer Bürgerinnen und Bürger zu fördern. Die Stadt plane, mit gutem Beispiel voranzugehen und künftig verstärkt städtische Dächer zu begrünen.
Zu mehr Lebensqualität im Siedlungsraum beizutragen, ist auch wesentlicher Bestandteil des Tagwerks von Günther Willi. Er leitet die beiden Bregenzer Stadtteilbüros Achsiedlung und Mariahilf, deren Aufgabe das Entwickeln eines guten sozialen Klimas ist. Zentrale Grundlage dafür sei die Möglichkeit, sich zu begegnen. Das allerdings hätten die Planer der alten Schule zu verhindern gewusst, hält Willi fest, denn die Prämisse im Siedlungsbau sei offensichtlich gewesen, die Menschen möglichst voneinander fern zu halten, denn wo keine Begegnung stattfinden würde, würde es auch keine Reibereien geben.
Natürlich sei diese Prämisse mittlerweile ohne Zweifel widerlegt und es sei zentrale Aufgabe der Architektur, hochwertige Räume der Begegnung zu schaffen. Dabei legt Willi Wert auf die Feststellung, dass die Achsiedlung ihren schlechten Ruf nicht verdiene: Sehr wohl gäbe es Potential, die Durchwegung der größten Siedlung im Land zu verbessern und letzte verbleibende „dunkle Zonen und Angsträume“ zu beseitigen.
"Je weniger sich die Menschen begegnen, umso weniger Streit gibt es? Ein Trugschluss."
Günter Willi über eine überholte Prämisse in der Planung von Wohnanlagen.
Doch die Anzahl der Anrufe bei der Stadt und der Polizei die Achsiedlung betreffend würden sich auf keineswegs besorgniserregendem Niveau bewegen. Natürlich wäre mehr Licht und Grün wünschenswert, das müsse allerdings auch mit der Entwicklung eines Verantwortungsbewusstseins einhergehen, wer sich um das Grün dann auch zu kümmern habe und sich an der Pflege des öffentlichen Raumes beteilige, ohne die Aufgabe vorbehaltlos an die öffentliche Hand abzugeben.
Bei der öffentlichen Hand sieht Meteorologe Tschannett in der Diskussion hingegen jede Menge Handlungsspielräume. Denn er frage sich, wie die notwendige gesellschaftliche Transformation von statten gehen solle, wenn wir einerseits die Dekarbonisierung binnen zweier Jahrzehnte bewerkstelligen müssten, andererseits in Österreich große Straßenbauprojekte über mehrere Milliarden Euro in der Pipeline steckten. Das wäre Aufgabe der Politik, hält er mit Nachdruck fest und stellt sich damit hinter den Impulsgeber der ersten Energie Lounge des heurigen Jahres Michael Kopatz, der ebenfalls mehr Standards und Limits vonseiten der öffentlichen Hand gefordert hatte.
Gabor Mödlagl sieht diese Forderung auch von den Bürgerinnen und Bürgern selbst bestätigt, die in einem Feldkircher Bürgerdialog auf die Frage „Was kann ich für die Gesellschaft in der Stadt leisten“ gleich dutzendfach Vorschläge eingebracht hätten, die mit „Die Stadt sollte…“ anfingen. Und auch ein Beitrag aus dem Publikum stößt ins selbe Horn: Wenn in Bregenz Bürgerbeteiligung zur Stadtentwicklung ausgerufen würde, kämen Männer über 50. Und so würde die Stadt auch ausschauen…
"Wenn in Bregenz Bürgerbeteiligung zur Stadtentwicklung ausgerufen wird, kommen Männer über 50. Und so schaut die Stadt auch aus", findet eine Besucherin.
Ein bisschen diplomatischer formuliert Marina Hämmerle den aus ihrer Sicht zentralen Zugang zu einem besseren Klima im Quartier, in dem sich der Mensch wieder stärker als Teil der Natur sehen müsse. Und völlig nüchtern ergänzt, dass es Zeit für weniger Verstand und mehr Gefühl für die wirklichen Bedürfnisse sei. Möge die Übung gelingen.
Rückblick: Wolfgang Seidel | Bilder: Darko Todorovic
Für die Fans taktiler Erlebnisse gibt es die Nachlesen zu den Energie Lounges auch in gedruckter Form, und zwar kostenlos in unserem Broschürenshop.
Diese Veranstaltung wird im Zuge von GreenSan durchgeführt. GreenSan ist ein Projekt von Energieinstitut Vorarlberg, Energie- und Umweltzentrum Allgäu (eza!), Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA), Energieagentur Ravensburg, Energieagentur St. Gallen und der baubook gmbh. Es wird gefördert von der Europäischen Union im Rahmen von Interreg A-B-H.