Wiederverwerten statt wegwerfen!
Die Bauwirtschaft verbraucht weltweit 40 bis 60% aller Materialressourcen. Es gilt umzudenken und durch Wiederverwendung von vorhandenen Baumaterialen Ressourcen zu sparen. Das lernten die Teilnehmenden der Partnerbetriebe und von Live im Betrieb bei einer Exkursion zu zwei Vorzeigeprojekten in der Schweiz.
Exkursion Zirkuläres und temporäres Bauen
Re-Use wird auch beim Bauen immer wichtiger. Die Bauwirtschaft verbraucht weltweit 40 bis 60% aller Materialressourcen. Es gilt umzudenken und durch Wiederverwendung von vorhandenen Baumaterialen Ressourcen zu sparen. Das lernten die Teilnehmenden der Partnerbetriebe und von Live im Betrieb bei einer Exkursion zu zwei Vorzeigeprojekten in der Schweiz.
Im Jahre 2019 wurden in Österreich ca. 11 Mio. Tonnen Bau- und Abbruchabfälle und ca. 42 Mio. Tonnen Abfälle aus den Aushubarbeiten für Bau- und Infrastrukturprojekte produziert1.
„Hingegen, in Afrika gibt es keinen Abfall“, berichtet Architektin Barbara Buser, Begründerin der Planungsbüros Denkstatt, In Situ und Zirkular. Basierend auf dieser Erkenntnis haben sich jene Büros dem zirkulären und nachhaltigen Bauen verschieben und mittlerweile zahlreiche beispielgebende Projekte in der Schweiz umgesetzt.
Einige dieser Projekte besichtigten die Mitglieder der Partnerbetriebe Traumhaus Althaus und die Teilnehmenden von Live in Betrieb im Zuge einer Exkursion. Während Barbara Buser uns in Winterthur durch das Areal Lagerplatz, den Kopfbau 118 und ein Studierendenprojekt der ETH Zürich (Pavillon) geführt hat, erzählte uns Architektin Christine Egli über die Entstehung und Wirkung des Kreativquartiers Lattich in St. Gallen.
Areal Lagerplatz in Winterthur: von einer Zwischennutzung zu einer nachhaltigen Quartiersentwicklung
Das unweit des Winterthurer Stadtzentrums gelegene Areal wurde bis Ende der 1980er Jahre als Lagerplatz und Gießerei der Firma Sulzer AG verwendet. Mit der Verlegung des Betriebs an einen neuen Standort stellte sich die Frage welche Nutzung das rund 50.000m² große Industriegebiet erfahren sollte. Mehrere Großüberbauungen, unter anderen ein Post-Verteilerzentrum, waren auf dem Areal geplant und gescheitert. In der Zwischenzeit zogen über hundert Zwischenmieter*innen in die Bestandsbauten ein und wandelten das Industrieareal in ein belebtes Freizeit- und Kreativquartier.
„Nicht nur die Bauteile, sondern auch die Menschen erhalten“
Um den Bestand des mittlerweile sehr beliebten Quartiers zu sichern, gründeten die Mieter*innen im Jahre 2006 den Arealverein Lagerplatz. Sie fragten die Macher des Gundeldinger Felds in Basel um Rat, wie sie den Bestand sichern könnten. Auch die Stadtverwaltung wollte das entstandene „Biotop“ sichern. Mit der Pensionskasse Stiftung Abendrot konnte schliesslich eine geeignete Investorin gefunden werden. Diese hatte bereits mit dem Areal Gundeldinger Feld in Basel positive Erfahrungen gesammelt. Die neue Besitzerin rief eine Projektsteuerung ins Leben, die aus zwei der Gründer des Gundeldingerfelds und einer Vertreterin von Abendrot bestand. Die Projektsteuerung traf sich wöchentlich, direkt am Standort, und leitete die Entwicklung des Areals mit Einbezug der Mieter*innen und der Anwohnenden.
„Wenn die Mieter*innen davon profitieren, sind sie zu allen bereit.“
Statt Abbruch und Neuüberbauung, folgte eine sanfte Weiterentwicklung des Areals. Dabei war der Umgang mit den bestehenden Strukturen sehr rücksichtsvoll, wodurch der urbane Charakter des industriellen Ziegelbaus erhalten blieb. Material- und Kosteneffizienz spielten eine große Rolle und resultierte mitunter in unkonventionellen Baulösungen. Saniert wurde vorerst nur dort wo es notwendig und sinnvoll war. Beispielsweise wurden bestehende Fenster und Türen nicht durch neue Bauteile ersetzt, sondern lediglich durch diese ergänzt. Ebenso wurde in einem Indoor-Freizeitpark die innenseitige Zellulosedämmung nicht verkleidet, sondern auf Sicht gesprüht und durch Netze geschützt. So konnten Material und Kosten gespart werden, wodurch vor allem die Mieter*innen profitieren.
Kopfbau 118: ein Leuchtturm für klimagerechtes und nachhaltiges Bauen
Während das Planungsbüro Denkstatt in der insgesamt zwölfjährigen Entwicklung des Areals involviert war, wurde für den Ausbau der Kopfhalle 118 das Baubüro In situ beauftragt. Auch hier war das Ziel möglichst viele an gebrauchten Material zu verwenden, allerdings unter der Bedingung, dass die Kosten gegenüber von neuen Bauteilen nicht höher sind. Die Rechnung ging auf: 70% Anteil an wiederverwendeten Bauteilen, mit einer ca. 60% Einsparung an CO2 Emissionen gegenüber vom Neubau bei gleichen Baukosten. Die restlichen 30% der Baumaterialien bestehen dafür aus möglichst nachhaltigen Rohstoffen, wie Holz, Stroh und Lehm.
Das Planen mit recycelten Bauteilen erforderte einen umgekehrten Planungsprozess. So erfolgte der Entwurf erst nachdem einen Großteil der Baumaterialien organisiert war. Nach der Erstellung der Konzeptskizze, machten sich vier sogenannte Bauteiljäger*innen auf die Suche nach verfügbaren Baumaterialien. Ein großer Teil der Bauteile stammte aus dem Abbruch eines Bürogebäudes in Zürich. Gerettet wurden unter anderen gerademal 4 Jahre alte Fenster, sowie eine Stahlaußentreppe, des schließlich die Raumhöhen des Gebäudes definiert haben. Die Granitfassade des Gebäudes konnte ebenfalls abgetragen werden und fand ein neues Leben als Plattenbelag in den Küchen- und WC-Räumen.
Studio Reuse ETHZ Zürich: am Projekt üben
Dass das Planen mit wiederverwendeten Materialien am Projekt geübt werden muss, hat Barbara Buser u.a. auch den Studierenden der ETH Zürich im Rahmen eines Entwurfsstudios nähergebracht. Auf einem temporär genutzten Areal am Stadtrand von Winterthur wurde von den Student*innen ein Pavillon aus 100% „geretteten“ Bauteilen entwickelt und gebaut. Begeisterung am Konzept der Wiederverwendung fanden nicht nur die Studierenden, sondern auch das Planungsbüro, welches für die künftige Überbauung des Areals zuständig ist.
Kreativquartier Lattich, St. Gallen:
Ca. 60 km weiter östlich, befindet sich inmitten von St. Gallen um den Güterbahnhof ein brachliegendes Areal, welches frühestens in 10 Jahren eine dauerhafte großflächige Bebauung erfahren könnte. Für eine sinnvolle Zwischennutzung des Quartiers formierte sich indessen der Verein Lattich (benannt nach der Pflanze, die sich gerne frei auf Brachflächen ausbreitet), der die Freiflächen und die Hallen des Güterbahnhofs für zahlreiche kulturelle und soziale Aktivitäten belebt.
Seit 2019 wurde das Quartier durch einen temporären Baukörper ergänzt, als eines der wenigen Bauprojekte am Areal, die keinen Einspruch seitens der Bevölkerung erfuhr. Das mit knallgelben Schaltafeln verkleidete Büro- und Dienstleistungsgebäude besteht aus 45 Holzmodulen mit einer Nutzfläche von rund 30m². Die Module aus Holz können von dem Mieter*innen beliebig kombiniert werden, ebenso steht den Nutzer*innen die Gestaltung der Spanplatten im Innenraum frei.
Während die Beheizung des Gebäudes durch den Anschluss an den Güterbahnhof erfolgt, sorgt eine recycelte PV-Anlage am Dach für die Stromerzeugung. Das gesamte Gebäude ist so konzipiert, dass es in Zukunft sowohl eins zu eins oder in Einzelmodulen versetzt als auch in wiederverwendbare Bauteile zerlegt werden kann.
Den Abschluss bildete ein gemeinsames Abendessen im Quartierrestaurant "Wilde Möhre" und bei der anschließenden Heimfahrt wurde viel diskutiert, genetztwerkt und über das Erlebte gesprochen. Die Teilnehmer*innen waren sehr beeindruckt von den Erfahrungen und der Arbeit der Architekt*innen. Öfters fiel der Satz:
"Diese Beispiele regen mich zum Umdenken an. Wir müssen unsere "eingefahrenen" Wege verlassen und uns überlegen wie wir Baustoffe wiederverwenden können!"
1 Bundesministerium für Klimaschutz, U. E. (12. Mai 2021). Die Bestandsaufnahme der Abfallwirtschaft in Österreich - Statusbericht 2021 (Referenzjahr 2019) . Wien, Österreich.
Die Veranstaltung wurde von Partnerbetrieb Traumhaus Althaus in Zusammenarbeit mit Live im Betrieb organisiert.