Interview: "Wir bei Blum fahren Bus und Rad"
Der Möbelbeschlägehersteller Blum wurde am 22. September in Wien mit dem VCÖ Preis 2022 in der Kategorie Mobilitätsmanagement sowie mit dem Gesamtpreis über alle Kategorien hinweg ausgezeichnet. Katharina Schön, seit 2019 Mobilitätsmanagerin im Unternehmen, erläutert, wieso Mobilitätsmanagement bei Blum ein so wichtiges Thema ist, wie die Mobilitätsangebote von den Blum-Mitarbeiter*innen angenommen werden und wieso es ein ganzes Team braucht, um ein Mobilitätskonzept umzusetzen.
Zuallererst herzliche Gratulation zum VCÖ Hauptpreis 2022! Eine tolle Auszeichnung für großartige Arbeit - mit Vorbildwirkung für alle, die sich mit dem Thema beschäftigen. Wieso bemüht sich Blum so intensiv um die Förderung nachhaltiger Mitarbeiter*innen Mobilität?
Für uns als Familienbetrieb ist Nachhaltigkeit seit jeher Teil der Unternehmenskultur. Blum ist unter anderem seit 25 Jahren umweltzertifiziert. 2019 wurde damit begonnen, Nachhaltigkeit nochmals neu zu definieren. Mobilität haben wir dabei als wichtigen Baustein priorisiert. Mobilität ist ein Thema, das sich gut anbietet, um die Mitarbeitenden teilhaben zu lassen an der Nachhaltigkeit. Während Energieeffizienz in erster Linie von Unternehmensseite getragen ist, kann bei der Mobilität jeder und jede Einzelne im Betrieb einen Beitrag leisten.
Und die Mitarbeiter*innen bei Blum leisten gerne einen Beitrag?
Definitiv! Die Nachhaltigkeitsbemühungen in der Mobilität sind sowohl von der Geschäftsleitung aber auch stark von den Mitarbeitenden getrieben. Es ist schön zu sehen, dass das miteinander einhergeht.
Sie sind seit 2019 Mobilitätsbeauftragte. . .
Ja, ich bin die erste Mobilitätsbeauftragte bei Blum. Die Stelle wurde neu geschaffen. Man hatte sich auch schon davor dem Thema Mobilität gewidmet – wir sind z.B. seit vielen Jahren beim Fahrradwettbewerb RADIUS dabei und seit 2013 Partner im Netzwerk Wirtschaft MOBIL. Mit der Verankerung in einer eigenen Verantwortlichkeit wurde dem Ganzen dann ein noch höherer Stellenwert beigemessen.
Blum hatte bislang Einzelmaßnahmen im Mobilitätsmanagement gesetzt. Was hat Sie dazu bewogen, das Thema nun ganzheitlich anzugehen?
Mobilität ist etwas sehr Individuelles. Mitarbeitende haben unterschiedliche Anfahrtswege, unterschiedliche Arbeitszeitmodelle oder auch unterschiedliche private Konstellationen. Um diese Vielfältigkeit abzudecken, hilft es, ein vielfältiges und abgestimmtes Angebot zu offerieren. Mobilität ist auch wetterabhängig. So bieten wir z.B. das Jobradangebot in Kombination mit dem Jobticket für Bus und Bahn an. Der Parkplatz bleibt nur dann immer leer, wenn das Mobilitätsangebot auch an Schlechtwettertagen stimmt. Für ein Mobilitätskonzept spricht aber nicht nur die nötige Bandbreite an Angeboten. Es sind auch organisatorische Vorteile. Wir haben uns im Rahmen unseres Konzepts angeschaut, wo die Potenziale für einen Umstieg liegen. Was können wir konkret erreichen? Was wollen wir erreichen? Mit dem Gesamtkonzept konnten wir das alles in einen schönen Rahmen gießen und eine langfristige Perspektive aufzeigen – für das Unternehmen und für die Mitarbeitenden.
Wo waren für Sie entscheidenden Meilensteine im Prozess?
Die Stelle der Mobilitätsbeauftragten zu schaffen, war sicherlich der erste Meilenstein. Dass es nun jemanden gibt, der sich auf die Fragestellungen rund um Mobilität fokussiert. Dann haben wir ziemlich bald ein Mobilitätsteam gebildet. Wir sind fünf Mitarbeiter*innen aus verschiedenen Bereichen: Personalgewinnung und Verwaltung, Organisationsentwicklung, Betriebsrat und aus dem Nachhaltigkeitsbereich.
Die Datenanalyse zusammen mit dem Energieinstitut Vorarlberg war die Basis für unser Konzept – festzustellen, welche Potenziale es gibt: Wo wohnen die Mitarbeiter*innen und wer kann mit dem Fahrrad anreisen? Wer mit dem Bus? Auch die Fahrzeugzählung haben wir intensiviert und uns mit anderen Unternehmen ausgetauscht. Auf Grundlage dieser Daten und Erfahrungswerte haben wir im Mobilitätsteam das Konzept ausgearbeitet.
Nach Freigabe durch unser Steuerungsgremium ging es an die Umsetzung. Für jede Maßnahme - Jobrad, Jobticket, Ökopunkte, … - haben wir ein eigenes Projektteam aufgestellt. Insgesamt waren im Projektprogramm über 20 Mitarbeitende beteiligt: Kolleginnen und Kollegen aus der Finanzabteilung, aus der Lohnverrechnung, der IT, dem Einkauf usw. Im letzten Schritt im Prozess folgte dann die Kommunikation an die Mitarbeiter*innen. Und nicht zu vergessen: Die fortlaufende Evaluierung und Verbesserung der Maßnahmen, die noch andauern.
Wie lange hat die Konzeptausarbeitung gedauert?
Mit der Konzeptausarbeitung haben wir Ende 2019 angefangen. Anfang 2021 erhielten wir die Freigabe. Ein gutes Jahr also. Bei der Umsetzung waren wir dann mit großem Nachdruck dabei. Es hat lediglich ein halbes Jahr gedauert, bis die ersten Angebote den Mitarbeiter*innen zur Verfügung standen. Das war eine sehr intensive Zeit! (lacht)
Ein straffer Zeitplan! Welche Maßnahmen sind konkret in die Umsetzung gegangen? Und wie sind Sie gestartet?
Wir haben unseren Mitarbeiter*innen zuerst das Gesamtkonzept präsentiert und welche Maßnahmen sie erwarten. In einem Video haben wir erklärt, wieso wir das Ganze machen und wieso wir möchten, dass sie als Kolleg*innen mit dabei sind. Oktober 2021 war Start des Jobradprogramms. Dann ging‘s weiter mit dem Jobticket. Hier übernehmen wir die Kosten für das VMOBIL Klimaticket für ganz Vorarlberg. Beim Jobrad wie auch beim Jobticket verpflichten sich die Mitarbeiter*innen, an einigen Tagen pro Woche auf den Parkplatz zu verzichten.
Beim Jobrad gibt es drei Varianten: Ich kann als Mitarbeiterin wählen, ob ich an 0, an zwei, oder an vier Tagen pro Arbeitswoche auf den Parkplatz verzichte – je nachdem staffelt sich der Firmenzuschuss, den wir zusätzlich zum Händlerrabatt und der staatlichen Förderung gewähren. Wichtig ist, der Parkplatzverzicht gilt bei jedem Wetter über das gesamte Jahr hinweg. Dafür können unsere Mitarbeiter*innen beide Angebote – Jobrad und Jobticket – nutzen. Es gibt also kein entweder oder.
Die dritte große Maßnahme, die in die Umsetzung ging, waren die Ökopunkte, die wir im Jänner 2022 gestartet haben. Die Software für das Belohnungssystem wurde in unsere Mitarbeiter-App eingebunden. In der App kann ich jeden Tag eintragen, wie ich zur Arbeit gekommen bin. Dafür gibt es je nach Klimafreundlichkeit des Verkehrsmittels Punkte, die die Mitarbeiter*innen sammeln und gegen Gutscheine mit Nachhaltigkeitsbezug einlösen: alles was Richtung Fitness und Gesundheit geht, aber auch Richtung regionale Küche, Bioverpflegung oder Produkte von regionalen kleinen Unternehmen. Darüber hinaus können unsere Mitarbeitenden die Punkte aber auch spenden – z.B. für die Kinderkrebshilfe oder die koje. Dafür stehen ihnen bis zu 180 Euro im Jahr zur Verfügung.
Jobrad und Jobticket stellen für uns die Basis dar, um umweltfreundliche anzureisen. Die Ökopunkte liefern die nötige Motivation, das Fahrrad oder das Busticket tatsächlich für den Arbeitsweg zu nutzen.Begleitet werden alle unsere Maßnahmen von einer bewusstseinsbildenden Kampagne und fortlaufenden Informationen. Dafür nutzen wir unserer Mitarbeiter*innen-App, mit der wir alle 7.000 Kolleg*innen erreichen. Wenn in der Gegend beispielsweise Baustellen sind, weisen wir die Mitarbeitenden darauf hin und zeigen ihnen Alternativen auf – z.B. sich an solchen Tagen besser in Fahrgemeinschaften zusammenzuschließen, um Stau zu vermeiden. So halten wir das Thema stets aktuell.
Haben Sie bereits eine Zahl, wie viele Jobräder seit Herbst 2021 angemeldet wurden?
(lacht) Ja, wir haben gerade die Grenze von 2.000 Jobrädern geknackt. Mit einem so großen Ansturm hatten wir nicht gerechnet. Ein Jobrad kostet im Durchschnitt 3.500 €. Natürlich zahlen die Mitarbeiter*innen diesen Betrag abzüglich des Firmenzuschusses in 48 Monatsraten zurück. Dennoch summieren sich die Beträge, die von Blum vorfinanziert werden.
Und bei den anderen Angeboten?
Beim Jobticket sind wir bei über 400 Stück und wir sind gespannt, wie sich die Zahlen im Herbst und Winter entwickeln werden. Was wir zusätzlich anbieten, sind Schnuppertickets, mit denen die Mitarbeiter*innen einen Monat lang gratis Öffis testen können. Damit geht keine Verpflichtung einher. Alle die neu bei uns anfangen, bekommen das Ticket in die Begrüßungsmappe gelegt.
Können Sie ungefähr beziffern, was die Umsetzung des Mobilitätskonzeptes kostet?
Mit 7.000 Mitarbeitenden bewegen sich die absoluten Zahlen natürlich in größeren Dimensionen. Rechnet man die Kosten auf die einzelnen Mitarbeitenden herunter oder setzt sie ins Verhältnis – zum Beispiel zu den Einsparungen, die wir durch die Reduktion von Parkplätzen erreichen – dann relativiert sich die Zahl etwas. Trotzdem: Für gutes Mobilitätsmanagement sind Investitionen notwendig. Doch die tätigen wir gerne, da wir dadurch den Mitarbeitenden ein ansprechendes Angebot zur Verfügung stellen und einen Beitrag zum Umweltschutz leisten können.
Und was uns natürlich besonders interessiert: Hat sich diese Investition gelohnt?
Wir machen monatlich eine Fahrzeugzählung und erfassen alle Pkws, Fahrräder, Motorräder an allen acht Blum-Standorten. So haben wir eine gute Datenbasis und wissen, dass im Durchschnitt vor der Umsetzung des Mobilitätskonzepts 38 Prozent der Mitarbeiter*innen nachhaltig angereist sind. Aktuell stellen wir Spitzenwerte von 47 Prozent fest. Das bedeutet eine Steigerung von fast 10 Prozentpunkten. An Spitzentagen reist also knapp die Hälfte unserer Belegschaft nachhaltig an! Es freut uns als Projektteam natürlich sehr, wenn man die Fortschritte auch mit solchen Zahlen belegen kann.
Großartig! Welche Maßnahmen haben die größte Wirkung gezeigt?
Das ist schwer zu bewerten. Der Grundgedanke ist ja, dass die Angebote in der Kombination funktionieren. Von der Anzahl her stechen die Jobräder hervor, aber ich habe auch viele Kolleg*innen, die bereits ein eigenes Fahrrad nutzen, jedoch sehr gerne die Ökopunkte sammeln und dadurch motiviert sind. Was aber tatsächlich großen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten hat, ist die Kommunikation der Mitarbeiter*innen untereinander. Wenn ich z.B. sehe, dass Kolleg*innen gemeinsam ihr neues Jobrad bewundern oder es bei der Einführung der Ökopunkte beim Kaffeeautomaten kein anderes Thema mehr gab wie: Wie viele Punkte hast du schon gesammelt? Oder wofür wirst du die Punkte einlösen? Die Mitarbeitenden motivieren sich gegenseitig. So hinterfragt man sein Mobilitätsverhalten: Wenn meine Kollegin jeden Tag mit dem Rad fährt und eine ähnliche Strecke hat wie ich, dann könnte ich es doch auch mal probieren.
Gibt es auch Punkte im Konzept, bei denen Sie nachbessern werden?
Ein Mobilitätskonzept ist nie richtig abgeschlossen. Mobilität entwickelt sich ständig weiter. Das müssen wir berücksichtigen. Was uns auf jeden Fall noch fehlt, sind Angebote für Mitarbeiter*innen mit weiterer Anreise, die entweder keine Möglichkeit haben, mit dem Rad zu fahren oder bei denen die Busverbindungen unzureichend sind. Gerade im grenzübergreifenden Verkehr Richtung Süddeutschland ist das ein Thema. Wir sind dabei, mit den Mitarbeitenden in Workshops herauszufinden, wo hier die Hebel sind für eine nachhaltige Anreise – z.B. mit Fahrgemeinschaften oder vielleicht P+R Parkplätze. Wir haben bei Blum einen Dreischichtbetrieb. Durch die wechselnden Arbeitszeiten stehen viele Mitarbeiter*innen quasi jede Woche vor einer neue Herausforderung, wenn es darum geht, wie sie zur Arbeit kommen.
„Mobilitätsmanagement braucht ein vielfältiges Team und jeden einzelnen Mitarbeitenden, wenn wir etwas bewegen wollen.“
Katharina Schön, Mobilitätsmanagerin
Wenn Sie nochmals zurückblicken auf die letzten drei Jahre, was würden Sie heute anders angehen?
Wichtig ist, dass Zuständigkeiten von Beginn an klar geregelt sind. Auch die Kapazitäten sollten gut geplant und mit Puffer versehen werden. Als z.B. das Jobradprogramm bei uns angelaufen ist, hatten wir enorm viele Anfragen von Mitarbeiter*innen. Wir haben eine Mitarbeiterin für die Abwicklung eingestellt. Auch war ein Praktikant eingebunden. Trotz allem saßen wir viele Tage und Abende dran. Wenn man nicht genau einschätzen kann, wie die Maßnahme angenommen wird, also auf jeden Fall ausreichend Kapazitäten bereithalten!
Wo liegt die Latte, die Blum mit dem Mobilitätsmanagement erreichen möchte?
Aus unseren Erhebungen wissen wir, dass theoretisch 60 Prozent der Mitarbeitenden nachhaltig anreisen könnten. Unser Ziel ist es, bis 2031 – also in 10 Jahren – die 60 Prozent auszuschöpfen. Zudem stehen wir im ständigen Austausch mit externen Partnern, Gemeinden und Land, was den Ausbau der Radinfrastruktur betrifft. Aber auch mit dem Verkehrsverbund, wenn es um den Ausbau von Bahn- und Busangeboten geht. Unser Ziel ist es, dass mit dem gezielten Infrastrukturausbau künftig noch mehr als 60 Prozent unserer Mitarbeiter*innen nachhaltig an- und abreisen können - auch im Schichtbetrieb zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Gab es denn bereits Infrastrukturverbesserungen auf Ihre Anregungen hin?
Ja, die Schnellbusverbindung Linie 14 ist so ein Beispiel. Der enge Kontakt mit dem Landbus „Unterland“ und dem Vorarlberger Verkehrsverbund ist für uns extrem wichtig. In umgekehrter Richtung ist es aber auch für die externen Vorhabenträger interessant, von uns Daten zu erhalten, von wo unsere Mitarbeiter*innen anreisen, zu welcher Zeit wir Schichtwechsel haben usw. Dieser Austausch ist für beide Seiten sehr fruchtbar.
Dann freuen wir uns auf weitere Angebotsverbesserungen, die nicht nur Blum Mitarbeitenden zugutekommen werden.
Noch ein Gedanke: Den Titel unseres Mobilitätskonzepts - „Wir bei Blum fahren Bus und Rad“ - haben wir ganz bewusst so gewählt. Wir wollen einen neuen Standard setzen und Rad, Bus oder Bahn zur Normalität erklären – nur wenn es nicht anders geht, nutzen wir bei Blum das Auto. Unser Ziel ist es, dass wir alle uns Gedanken über die eigene Mobilität machen. Und wenn möglichst viele von uns die Straße freimachen, kommen schlussendlich auch jene, die aufgrund äußerer Gegebenheiten aufs Auto angewiesen sind, besser ans Ziel.